Daniel Moeri über Sinn und Zweck der Landschaftsarchitektur
Interview von Andreas Staegerzeitpunkt mit Daniel Moeri vom 28.01.15
Die Seele der Natur spüren
Architektur ist erst dann vollständig, wenn sie die Landschaft einbezieht. Das ist das Credo des Berner Landschaftsarchitekten Daniel Moeri. Im Gespräch erklärt er, wie er dem Kern eines Projekts auf den Grund geht, wann ihm die besten Ideen kommen und warum er sich nicht für Hochhäuser interessiert.
Wozu brauchen wir Landschaftsarchitektur?
Als Landschaftsarchitekt kümmere ich mich um alles, was nicht Gegenstand der eigentlichen Architektur ist. Ich verstehe mich gewissermassen als Anwalt des «übrigen Raumes». Viele Architekten sehen bloss ihre Baukörper, die sie in die Landschaft stellen. Für mich besteht die Hauptsache eher in der Landschaft.
Beispielhaft finde ich die Villa Lante Bagnaia. Das Ensemble von Bauwerken und Park, das Vignola dort im 16. Jahrhundert komponierte, ist herausragend. Das Haus ist dort eigentlich Nebensache. Das ist der Kern meines Gartenverständnisses. Jedes Bauwerk kann nur im Kontext der Landschaft verstanden werden.
Vom Paradies zur Landschaft
Wird da der Landschaft nicht einseitig zu viel Gewicht beigemessen?
Wenn wir über Landschaft nachdenken, schwingt bei uns Menschen stets das Bild des Paradieses mit. Dieses Bild hat sich im Laufe der Zivilisationsentwicklung fundamental geändert. Einst war das Paradies ein umgrenzter, womöglich geometrisch gestalteter Garten. Heute erblickt man darin ein Arkadien, das zerstört worden ist. Das hat Auswirkungen auf die Funktion und Bedeutung von Landschaft.
Neutral und objektiv lässt sich feststellen: Landschaften sind Lebensräume – also Räume für sämtliche Bereiche des Lebens, vom Wohnen über die Arbeit bis zur Freizeit. Eine Landschaft hat eine Halbwertszeit von 20 bis 30 Jahren. Das Problem besteht darin, dass dies auch dann gilt, wenn sie hässlich ist. Wenn Landschaften nicht gestaltet, sondern nach rein funktionalen, also wirtschaftlich bestimmten Massstäben eingerichtet sind, dann fehlt ihnen jeder Anreiz für einen Aufenthalt darin.
Wie lässt sich die Aufenthaltsqualität eines Ortes steigern?
Im Grunde genommen ist es ganz einfach. Den Massstab setzen Landschaften, die man in der Freizeit gerne aufsucht. Wenn man das auf die Arbeitswelt überträgt, erkennt man: Wer erfolgreich Leistung erbringen will, benötigt eine gute Arbeitsumgebung, und zwar sowohl innen wie auch aussen. Für mich steht deshalb fest, dass wir zwingend vernünftige Aussenräume brauchen.
Was bedeutet das konkret?
Gute Gestaltung basiert auf inneren Werten. Man muss die Seele der Natur spüren. Aus dem Ort und für den Ort eine passende Idee zu entwickeln – das ist gute (Landschafts-)Architektur. Sie zeigt sich in hoher Funktionalität und in ästhetischer Qualität. Guter Architektur gelingt es, etwas auszulösen: Sie spricht Menschen an und macht sie betroffen, weil sie auf ihre Bedürfnisse eingeht.
Umfassende Recherchen als Grundlage
Wie gehen Sie an ein Bauvorhaben heran?
Jeder Ort hat eine Ausstrahlung. Damit sie aufgezeigt werden kann, braucht es Grundlagenarbeit. Das erachte ich als Fundament jeglicher Projektentwicklung. Architektur ist nämlich nicht nur rational. Sie muss auch den Geist eines Standorts aufgreifen. Dafür braucht es Recherchen, die alle relevanten Aspekte erfassen. Ein Landschaftsarchitekt ist daher nach meiner Meinung zwingend Generalist. Er berücksichtigt Aspekte aus allen möglichen Richtungen: Biologie, Geschichte, Meereshöhe, Geografie, Klima, Geologie, Flora, Fauna, Kultur etc.
Meine Methode besteht darin, zuerst einmal eine breite Datensammlung zu einem Projekt zu erstellen. Sie liefert eine seriöse, möglichst ganzheitliche Analyse. Die Grundlagenforschung im Bereich Gartenarchitektur, die unser Team dabei betreibt, erbringt beispielsweise fundierte Aufnahmen der örtlichen Verhältnisse bezüglich Flora und Fauna.
Nicht jeder Bauherr wird bereit sein, für derartige Analysen zu bezahlen.
Das trifft zu. Recherchen dieser Art sind meist sehr aufwendig. Allerdings muss man berücksichtigen, dass Bauherren heutzutage oft mit geschützten Objekten konfrontiert sind. In solchen Fällen müssen sie belegen, dass sie mit den betroffenen Bauwerken oder Naturelementen sorgfältig umgehen. Für diese Sorgfalt bürgen wir mit unserer Firma dank der Fachkompetenz der Mitarbeitenden. Schwierige Rahmenbedingungen – seien sie finanzieller Natur oder in Form von Naturschutzauflagen – sind nach meiner Erfahrung übrigens kein Hinderungsgrund für erfolgreiche Projekte. Im Gegenteil, oft begünstigen sie gute Lösungen.
Die notwendigen Recherchen sind allerdings nicht immer über ein Projekt finanzierbar. Hier kommt dann halt eine gewisse Leidenschaft meinerseits ins Spiel. Mich interessiert jedes Sachgebiet, das mit Landschaft zu tun hat. Mit unserer Firma «machen» wir nicht einfach Gestaltung. Vielmehr arbeiten wir zuerst die Grundlagen auf. Dazu zählt insbesondere die Geschichte eines Bauwerks beziehungsweise einer Institution.
Neues basiert auf Bestehendem
Geschichte? Wir leben doch in der Gegenwart! Und hier gestalten wir die Zukunft.
Ja klar. Aber die Vergangenheit ist das Fundament der Gegenwart. Was wir heute unternehmen, ist stets eine Weiterentwicklung des Bestehenden. Unsere Welt ist in dieser Hinsicht von frappierenden Zweifeln durchdrungen. In der Regel neigt man dazu, Altes unreflektiert als wertvoll einzustufen. Das liegt daran, dass man heute oft unsicher ist, Neues als wertvoll zu erkennen.
Wie gelangen Sie von der Analyse zur Projektidee?
Die eigentlichen Ideen erschliessen sich auf intuitivem Weg. Als Basis braucht es saubere Recherchen. Sie sind nach meiner Erfahrung die Voraussetzung dafür, dass man überhaupt kreativ werden kann.
Kreativ ist man allerdings nicht «einfach so». Bei mir stellen sich gute Ideen am ehesten frühmorgens ein. Zwischen Schlaf und Wachsein hat der Mensch am besten Zugang zu seiner Intuition. Kreativität ist ja eigentlich nichts anderes als eine Zwiesprache mit dem eigenen Unterbewusstsein.
Gute Gestaltung setzt kindliche Naivität voraus
Ist Architektur nicht primär eine exakte Wissenschaft, die auf methodischer Entwicklung und systematischem Aufbau basiert?
Systematisches Vorgehen ist zweifellos wichtig. Doch nach meinem Verständnis ist rein funktionalistisches Machen nach mathematischen Gesetzen alles andere als kreativ. Das Schlimmste für einen Gestalter sind denn auch alte Geleise. Es braucht eine kindliche Naivität, damit man sich immer wieder neu begeistern kann. Als Gestalter will und muss ich offen bleiben für Formen und Farben.
Wie bewerkstelligen Sie dies?
Ich versuche mir immer wieder frische Impulse zu holen, indem ich mich in der Natur, aber auch in Städten umsehe. Wir bauen letztlich für jene Menschen, die heute noch jung sind. Darum schaue ich mir regelmässig an, was junge Leute anspricht, insbesondere Trendbars und Trendshops. Spannend ist für mich auch der Besuch von Ausstellungen. Besonders anregend finde ich jene im Stapferhaus Lenzburg.
Ausführung setzt Kommunikation voraus
Tolle Ideen sind das eine, deren Realisierung das andere. Da kann man sich die Finger schmutzig machen und überlässt es deshalb vielleicht lieber Anderen. Wie halten Sie es damit?
Wir belassen es nicht bei der Planung, sondern kümmern uns auch um die Umsetzung von Projekten. Zu diesem Zweck erstellen wir Ausführungsplanungen und Kostenberechnungen. Anschliessend begleiten wir das Vorhaben als Bauleiter oder Bauführer. Und noch etwas: Wir sind in der Lage, Budgets einzuhalten.
Das sollte eigentlich selbstverständlich sein.
Da stimme ich zu. Doch viele Bauherren müssen heute leider andere Erfahrungen machen.
Wenn heute im öffentlichen Raum gebaut wird, kollidieren oft ganz unterschiedliche Ansprüche und Bedürfnisse. Wie gehen Sie damit um?
Mehr noch als die Ausführung eines Projekts interessiert mich der Weg dorthin. Bevor ich planen und gestalten kann, muss ich informieren und motivieren. Ich denke, dass es zu meinen Stärken zählt, Menschen zusammenbringen und auf sie eingehen zu können. Das entsprechende Rüstzeug habe ich mir in jahrelanger Praxis als Dozent an der Fachhochschule Burgdorf angeeignet. Planungsprozesse spielen sich in aller Regel unter Einbezug vieler verschiedener Beteiligter ab. Solche Prozesse in Gruppen durchzuführen ist anspruchsvoll. Dabei übernehme ich oft eine Art Moderationsfunktion. Kommunikation ist heutzutage im Planungs- und Bauwesen von zentraler Bedeutung. Zum Thema Kommunikation zähle ich übrigens auch Visualisierungen. Da verfügen wir über grosse Stärken. Viele Leute können mit Plänen und Querschnitten nicht viel anfangen. Diesem Umstand begegnen wir mit hochwertigen zeichnerischen Darstellungen.
Wertschätzung ist wichtiger als Renommee
Was ist Ihr grösstes Erfolgserlebnis?
Da sehe ich nicht ein einzelnes, für sich stehendes Projekt, sondern meine Arbeit als Ganzes. Ich erlebe immer wieder Wertschätzung durch meine Auftraggeber. Das ist es, was für mich als Erfolg zählt. Das Leben betrachte ich letztlich als Beziehungsskulptur. Dies erklärt wohl auch, warum mich Renommee und Prestigeprojekte nicht interessieren – in dieser Hinsicht fehlt mir wohl einfach ein Gen.
Apropos Prestigeprojekte: Wie haben Sie es mit Hochhäusern?
Ich erachte Hochhäuser als reine Machtsymbole. Dem vielbeschworenen Zweck der Verdichtung dienen sie in keiner Weise.
Daniel Moeri
Landschaftsarchitekt
Daniel Moeri, 1958 geboren, ist in Burgdorf aufgewachsen, wo er auch heute lebt. Er ist Vater einer erwachsenen Tochter.
Bereits als junger Mensch befasste sich Moeri eingehend mit Natur- und Siedlungsthemen. Während der Schuljahre verbrachte er seine Freizeit auf dem Bauernhof von Verwandten im Seeland. Dabei konnte er sich eingehende Kenntnisse im Umgang mit Pflanzen aneignen.
Prägend waren für ihn verschiedene Ortsplanungen, mit denen er sich während seiner Lehre als Bauzeichner auseinandersetzte. Nach der Lehrzeit verhalf ihm ein anderthalbjähriges Praktikum in einer Gartenbaufirma zu einem breiten Spektrum an Erfahrungen in der Gartengestaltung.
Die Hauptausbildung von Daniel Moeri bestand im Studium der Landschaftsarchitektur am damaligen Technikum Rapperswil. Im Anschluss daran besuchte er als Fachhörer während drei Jahren den Grundkurs Architektur an der ETH Zürich.
Noch während des Studiums gründete Daniel Moeri 1983 zusammen mit seiner Frau Doris die Firma Moeri & Partner AG. Die Unternehmung ist spezialisiert auf die Gestaltung von Aussenräumen, Gärten und Landschaften. Dem Team gehören 12 Mitarbeitende an. Der Firmensitz befindet sich am Mühlenplatz in Bern.