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Die Wiedergeburt zu Bethlehem

Architekturkritik: In Berns Westen wurde einem ganzen Stadtteil neuer, urbaner Geist eingehaucht.
derBund – publiziert am 30.11.2014 – Christoph Schlaeppi

Nachdem sich der Pulverdampf der Tramabstimmung vom 28. September verzogen hat, wollen wir wieder einmal in Ruhe den Hintergründen städtebaulicher Qualität nachgehen. Steht es so rabenschwarz, wie es der schweizerische «Architektur-Federer» Jacques Herzog kürzlich in einem Interview sagte – «seit Beginn der klassischen Moderne ist in keiner Stadt der Welt (…) kein vernünftiges Quartier mehr neu gebaut worden»? Der Blick über die Siedlungsentwicklung der letzten 50 Jahre bringt tatsächlich vor allem Schrott zutage.

Wie konnte es so weit kommen, wo wir doch heute so viel besser Bescheid wissen als in jenen Zeiten, wo die Architekten (frei nach Adolf Loos) bloss Maurer waren, die in der Schule Latein gelernt hatten? Misstrauisch geworden ob der Beliebigkeit der Argumente, die uns von der Tramdiskussion her im Ohr nachhallen, wollen wir es mit einem Augenschein versuchen und ziehen Stadtwanderers Socken über.

Beginnen wir an der Neubrückstrasse. Sie wurde als Haupterschliessung für die Landesausstellung 1914 auf dem Neufeld, Mittelfeld und Viererfeld gebaut. (Hier stand schon damals eine Stadt aus Holzlatten und Pappe, sogar mit eigener Tramlinie.) Die einst stolze Hauptader schlummert derzeit im verkehrsberuhigten Dornröschenschlaf.

Ein paar Meter nebenan ist an der ebenfalls verkehrsberuhigten Mittelstrasse ziemlich spontan ein von Hundertschaften bevölkerter Hotspot entstanden, derweil sich in den Quartierstrassen ringsum der Verkehr staut. Man fühlt sich in die Zeit vor 1900 zurückversetzt, als die Altstadt ständig verstopft war – mit Handwagen und Pferdefuhrwerken! Denen, die dergleichen als Problem betrachten, sei gesagt: Es ist ein Privileg.

Ein städtischer Strassenraum erfüllt eine erstaunliche Vielfalt an Aufgaben. Funktionalisten haben seit den 1930er-Jahren versucht, Verkehrsprobleme und Konflikte mit Funktionstrennungen anzupacken, also Flächen für Fussgänger, Velos, Autos etc. zu trennen. Das, was das Wesen einer Strasse ausmacht, hat dabei fast immer gelitten. Strassen sind eben nicht nur Verkehrsflächen, sondern vor allem auch Sozialräume. Strassen sind dann am lebendigsten, sichersten und wohnlichsten, wenn auf ihnen Koexistenz gelebt und niemand von ihrem Gebrauch ausgeschlossen wird.

Was ist denn da passiert?

Erinnert sich jemand an Bethlehem vor 20 Jahren? Der heilige Name stand für ein Quartier, das durch die Eisenbahn, den Wald, die Autobahn von der Stadt abgeschnitten und dabei verwahrlost war. Hier führte zwar keine anständige Strasse hin, aber eine tägliche Blechlawine gab es trotzdem.

 

Heute nehmen wir den Ort als ein freundliches, grosszügiges Quartier zentrum wahr, ausgezeichnet durch die 1960 von Werner Küenzi erbaute, schöne Kirche. Was ist passiert? Der Bau des Trams nach Brünnen wurde zum Anlass genommen, einen neuen Strassenraum zu gestalten, auf dem das Miteinander gelebt werden kann. Er wurde als Chance genutzt, den öffentlichen Raum mit organisatorischen und gestalterischen Mitteln für seine anspruchsvolle Aufgabe herzurichten und räumlich an den Rest der Stadt anzubinden. Nach einem Architekturwettbewerb, einer verlorenen Abstimmung und viel Nachbesserungsarbeit ist es vollbracht: Das Projekt hat einem ganzen Stadtteil neuen, urbanen Geist eingehaucht.

Sollte es eines Tages so weit kommen, dass auch die Ostermundiger und vielleicht sogar die Könizer ein zweites Mal über ihr Tram abstimmen dürfen, so sind sie gut beraten, vor dem Einwerfen des Stimmzettels den Weg nach Bethlehem unter die Füsse zu nehmen.

Der Autor ist Architekturhistoriker (www.christophschlaeppi.ch) und Mitglied des «Baustelle»-Kolumnistenteams. (DerBund.ch/Newsnet)

Tram Bern West – Moeri & Partner AG